LERNEN – durch ERINNERN 

21. Oktober 2022

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Erschütternde Berichte über die Sinti-Verfolgung im NS-Staat und antiziganistischer Diskriminierung bis heute.

Ricardo Lenzi Laubinger, Vorsitzender der Sinti-Union Hessen und Autor des Buches „Und eisig weht der kalte Wind“ sprach auf Einladung der Kreisvereinigung der VVN-BdA am 18.10.22 in der Offenbacher Stadtbibliothek über die Geschichte der rassistischen Verfolgung und Vernichtung eines Großteils seiner Familie im Faschismus. Sinti_zze (1) leben seit 600 Jahren in Deutschland und waren und sind Bestandteil unserer Gesellschaft. Wie diese Volksgruppe vom faschistischen Staat auf Grundlage der Nürnberger Gesetze rassistisch verfolgt und viele von ihnen grausam ermordet wurden – kleine Kinder, Menschen aller Altersgruppen, angeblich arbeitsscheu und das kriminelle Verhalten in ihren Genen verankert – das schilderte Ricardo Lenzi Laubinger. Er gedachte der einzelnen Familienmitglieder – mit sehr anschaulichen, persönlichen Erzählungen. Es fiel ihm sichtlich schwer, darüber zu sprechen. 

Die rassenbiologischen Grundlagen der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ zur „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“ dienten nach der Befreiung vom Faschismus noch bis in die 60er Jahre zur Orientierung der Behörden. Die Diskriminierung war nicht vorbei. Ergreifend berichtete der Autor davon, wie er selbst, 1959 geboren, als Erstklässler von seinem Klassenlehrer, einem alten Nazi, ausgegrenzt, als „Zigeuner“ verächtlich gemacht und sogar körperlich misshandelt wurde. Seine Erzählungen untermauerte er durch Dokumente der staatlichen Stellen, Konzentrationslager, der Kriminalpolizei.

Die ergreifenden Berichte und Erzählungen sind in seinem Buch (2) zu finden, das sehr zu empfehlen ist, wenn man sich eine konkrete Vorstellung von Antiziganismus bis in die heutige Zeit machen möchte.

Ricardo Lenzi Laubinger hatte seine Geige mitgebracht, und wurde von zwei Gitarristen zu Stücken von Django Reinhardt begleitet. Die Musik wirkte wohltuend und brachte etwas Ablenkung und Entspannung.

In einem Beitrag vonseiten der VVN-BdA wurde berichtet, dass die deutsche Bundesregierung von der EU aufgefordert wird, schnellstens wirksame Maßnahmen gegen Antiziganismus in der deutschen Gesellschaft zu ergreifen. Der sehr interessante Bericht im Internet unter https://www.dw.com/de/uka-bericht-800-seiten-über-antiziganismus-in-deutschland/a-58166481 zu finden, schildert die antiziganistische Diskriminierung in Vergangenheit und Gegenwart.

Dringend nötig wären unabhängige Antidiskriminierungsstellen, die Betroffene unterstützen und sie in ihrem Kampf begleiten.

40 Interessierte besuchten die Veranstaltung, die in Kooperation mit BUNT statt braun, Ver.di, den NaturFreunden, „LOS -Offenbach solidarisch“, der Geschichtswerkstatt Offenbach und dem Offenbacher Stadtschüler*innenrat stattfand, sie wurde von „Demokratie leben“ einem Programm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und im Rahmen des Landesprogramms Hessen „aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ finanziell gefördert.

(1)(geschlechtergerechte Schreibweise) (2) Ricardo Lenzi Laubinger: Und eisig weht der kalte Wind – das Schicksal einer deutschen Sinti-Familie, KLAK-Verlag, 2019. 12,90 €